Manuel Vogel
· 02.07.2021
Jahrelang tobten in den Surfshops wahre Rabattschlachten. Gerade jetzt, wo Wingsurfen boomt, ist Material plötzlich Mangelware. Kunden müssen monatelang auf bestelltes Wingfoil-Equipment warten und bei Rabattanfragen gibt’s im Shop nur ein müdes Lächeln. Wir haben uns in der Wassersportszene umgehört und nach den Hintergründen des Mangels gefragt.
Die Situation in manchen Surfshops erinnert etwas an die Lage in den Supermärkten zu Beginn der Corona-Pandemie – nur das statt Klopapier, Tütensuppen und Trockenhefe dort natürlich andere Dinge des täglichen (Surfer-)Lebens fehlen: Ein Foil? Komm mal in zwei Monaten wieder! Wings? Gibt’s gerade nur mit 2,5 und 7,5qm! Der Shorty für den Sommer? Kommt im November! Und wer doch fündig wird, erntet nach dem Einfordern des sonst branchenüblichen Rabatts in diesem Jahr nur ein müdes Lächeln des Verkäufers.
Dass nach Jahren der garantierten Rabatte und des verlässlichen Überflusses bestimmte Waren plötzlich knapp werden, ist kein Phänomen der Surfbranche alleine, trotzdem zeigt sich hier in besonderer Weise, was passieren kann, wenn eine komplette Branche von asiatischer Produktion abhängt.
Patrick Supper von Kailua Sports in Kiel vertreibt eigentlich Wassersport-Hardware von Marken wie Naish und ProLimit. Aktuell fühlt er sich eher als Telefonseelsorger: „Es vergeht kein Tag, an dem hier nicht Shopbesitzer oder Endkunden anrufen, weil sie auf bestellte Ware warten. Leider können wir im Moment, wie viele andere Vertriebe auch, nur vertrösten, denn durch die Corona-Pandemie sind die eingespielten Lieferketten massiv ins Stocken geraten. Lockdowns in den asiatischen Ländern haben für Verzögerungen gesorgt, erst im Juni wurde wieder der Containerhafen in Shenzen (China) wegen eines Corona-Ausbruchs komplett gesperrt. Das führt dazu, dass der weltweite Warenverkehr erheblich stottert“, so Supper.
Florian Brunner vom APM (Importeur von Starboard, Airush, Ensis, etc.) weist auf die Komplexität der Lieferketten auch in der Surfbranche hin. Die Produktion eines Boards oder Wings im Werk ist das Eine, aber auch dahinter stehen viele Zulieferer, die teilweise nicht oder nur verzögert liefern können. Manchmal gibt’s kein Tuch, dann ist Harz für die Boards Mangelware oder es scheitert an fehlenden Footpads. Und wenn irgendwann die Produkte doch fertig sind, kann es sein, dass man keinen Container bekommt“, erklärt Brunner die Problematik.
Nach eineinhalb Jahren Stotterproduktion sind die sonst so eingespielten Abläufe also gehörig durcheinander geraten. „Vergingen früher“, so verrät Patrick Supper, „von der Bestellung der Ware durch den Importeur bis zur Auslieferung an den Shop rund sechs Monate, rechnet man derzeit damit, dass sich der Zeitraum auf bis zu 12 Monate verlängert. Damit haben leider alle Marken derzeit zu kämpfen.”
Damit, dass die Frachtpreise für Waren aus Asien in den letzten Monaten explodiert sind, haben sich die Importeure notgedrungen abgefunden. Kostete vor der Pandemie ein 40-Fuß-Container aus China noch etwa 2000 Dollar, schlagen jetzt, so verrät Importeur Florian Brunner (APM), „12.000 bis 16.000 Dollar zu Buche. Aufgrund der gestiegenen Transportpreise mit dem Schiff weichen zunehmend Importeure auf die Bahn aus, aber die Kapazitäten sind begrenzt“.
Die Situation ist eine Herausforderung, aber insgesamt gehört die Surfbranche eher zu den Profiteuren der Pandemie
Besonders für Waren mit großem Volumen und verhältnismäßig geringem Warenwert, erhöhte sich der Anteil der Frachtkosten an den Gesamtkosten. „Früher“, so Patrick Supper, „machten die Frachtpreise drei bis vier Prozent unserer Kalkulation aus, zuletzt stieg der Anteil bei einigen Warengruppen auf bis zu 13 Prozent. Der Kunde muss sich bei bestimmten Artikeln wohl oder übel auf steigende Preise einstellen.“
Branchenkenner Flo Brunner sieht die Preisentwicklung ähnlich, betont allerdings auch, „dass sich die hohe Nachfrage auch auf Gebrauchtmaterial verlagert. Wer eigenes Material tauschen will, wird vermutlich teurer einkaufen müssen, aber andererseits auch mehr für sein Gebrauchtmaterial bekommen.“
Als Folge müssen viele Importeure die gestiegenen Transportkosten teilweise an die Shops weitergeben. Das sorgt dort einerseits für Unmut, andererseits war die Situation für die mitunter gebeutelten Shops lange nicht mehr so gut wie derzeit. Corona wirkt wie eine Vitalisierungsspritze für die gesamten Wassersportbranche. Der Run auf Material ist groß, besonders begehrt sind SUP-Boards, Wingsurf-, aber auch Windsurfmaterial. Dies bedeutet, dass zwar viele Produkte aktuell nicht verfügbar sind, der Lagerbestand aber ohne Rabatte verkauft werden kann. Für Leute wie Frank Lewisch, Verkäufer bei Sport Schneider am Neusiedler See, ist das eher ungewohnt: „Wir haben bei manchen Herstellern Materialpakete für 20.000 Euro bestellt und am Ende nur Ware für 1.400 Euro bekommen. Teilweise kommt die Bestellung an Winterneos im Sommer, die Shortys erwarten wir im Herbst – großartig! Trotzdem hat die Situation für die Shops auch viel Positives. Die Nachfrage ist riesig und über Rabatte muss man nicht diskutieren, denn letztlich sind alle Shops in der gleichen Situation. In meinen Augen kann die jetzige Pandemie eine Chance für die ganze Branche sein – weg von den jährlichen Modellwechseln, bei denen teilweise nur das Dekor ausgetauscht wird und weg von einer Situation, bei der im Sommer aktuelle Modelle schon durch Nachfolgemodelle entwertet werden“, so Lewisch.
Die Neupreise für Surfmaterial dürften mittelfristig steigen. Allerdings bedeutet das auch, dass man gebrauchtes Material besser weiterkaufen kann.
Für Frust bei manchen Endkunden sorgen aber nicht nur die leeren Regale im Shop, sondern auch die Tatsache, dass es immer wieder Surfshops gibt, die online eine Verfügbarkeit suggerieren, die eigentlich nicht besteht – eine Praxis, die rechtlich nicht zulässig ist. Das Kalkül dahinter: Hat der Endkunde erst mal vorbestellt (und bezahlt), besteht vermeintlich nicht mehr die Gefahr, dass dieser bei der Konkurrenz einkauft – Kundenbindung geht eigentlich anders. Sicher Material einkaufen kann man derzeit also nur, wenn dieses mit Preisschild vor einem im Shop steht.
Eine Möglichkeit für Neueinsteiger ins Wingfoilen könnten in diesem Sommer noch die großen Testevents sein – an der Ostsee sind dies z.B. das Foil Festival in Schönberg und das Surf-Festival am Südstrand auf Fehmarn.
Spannend wird es sein, zu sehen, ob die teilweise positiven Entwicklungen die Corona-Pandemie überdauern, oder ob die Hersteller zurück zur aus dem Wind- und Kitesurfbereich bekannten Routine mit schnellen Modellwechseln und einem Überangebot kommen. Zumindest für 2022 dürfte dies noch nahezu ausgeschlossen sein, denn bis alle Rädchen der Liefer- und Produktionsketten wieder reibungslos ineinander greifen, vergehen laut Aussage von Branchenkennern mindestens zwei Jahre.